Das Geweih als „Jagd-Öko-Botschafter“
Mein stärkstes Geweih (ungerader Zwanzig Ender, abnormer Dreikronenhirsch) hing viele Jahre in der Küche einer Wohngemeinschaft, in der ich etliche Jahre gelebt habe. Dieses Rothirschgeweih wurde jahreszeitentypisch behängt und geschmückt, mal mit Ostereiern, mal diente es auch als „Adventskal-Ender“ – aufgrund der dazu fehlenden vier Enden mussten jedoch einige Geweihsprossen mehrfach beschenkt werden.
Es befanden sich jedoch ständig wahlweise bunte Becher, Trockentücher oder auch gerade mal aktuelle Hinweise, Artikel oder Flyer am Geweih – es diente also als Geschenkbox, Regal, Wäscheständer und Pinwand. Jedem zweiten Leser sträuben sich nun wahrscheinlich vor Unmut die Deckenhaare und etliche Jäger, die damals die Küche betraten, fanden diese Geweihnutzung auch durchaus gewöhnungsbedürftig.
Geweihbotschaft für Vegetarier
Fast alle Nichtjäger (und die waren in unserer damaligen „Teilvegetarier- WG“ definitiv die Mehrheit) reagierten jedoch auf die hier skizzierte Nutzung des Geweihes ausgesprochen überrascht und erfreut. Durch diese praktische Anwendung und die Einbindung des Geweihes in die Alltäglichkeit des Küchengeschäftes entwickelte sich vermutlich doch eine ganz andere Offenheit gegenüber dem Thema Jagd und Trophäe. Das Geweih wurde nicht mehr nur mit sakralem Abstand ehrfurchtsvoll betrachtet, sondern hatte ganz praktischen Nutzwert. So wie die Geweihe bei unseren Altvorderen, den aller praktischsten Wert hatten: unzählige Nutzgegenstände wurden früher aus Geweihen gefertigt und auch heute noch gibt es Kräuterhexen und Kräuterkundige die ausschließlich mit Geweihen und Geweihenden Wurzeln und Pflanzen ausgraben – das Metall „zerschneide das Band mit der Erde“.
Gesprächseinstieg Küchengeweih
Und so war auch das Küchen-Geweih als Symbol für den Hirsch, der dann zuweilen unter dem Geweih auch zubereitet und verspeist wurde, häufig Anstoß zu Gespräch und Diskussion: „So ein Geweih kann ja auch richtig praktisch sein“ – „Sieht mit den Trockentüchern total schick-bunt aus“ – „Nimm doch mal das Tuch da weg, ich seh das Geweih ja gar nicht richtig“ – „Ich hätte gern den Becher von dem einen Ding da, äh wie heißen die eigentlich...?“ – „Da hängt ja ein Antijagdflyer am Hirschgeweih, wie geht das denn zusammen?“ – „Wandert der Rest von dem Ding da hier jetzt gerade frisch durch die Töpfe…?“ – „Bei uns hängen die Trockentücher immer irgendwie stillos irgendwo in der Küche rum – hast Du nicht noch so´n Ding über?“
Mit Geweih zum Jagd-Marketing…
So oder ähnlich klangen viele Jahre die Einstiegssequenzen für die „Trophäen-Jagd-Gespräche aus der Küche“ und es entspann sich daraus schon so manche kleinräumige Marketing-Initiative pro Jagd!
Das Geweih als „Küchenutensil“ ist gewiss eine Kleinigkeit – doch es ist eine Kleinigkeit, die einerseits offenbar ein wenig Anstoß nahm (bei einigen Jägern!) andererseits großen Anstoß gab (beim Rest der Küchengäste!).
Und wenn der Blickfang des Geweihes in diesen besonderen „Kontext der praktischen Küchennutzung gestellt“ Nichtjäger oder auch Antijäger wieder ein wenig für die Jagd öffnet ist damit unserem Handwerk vielleicht mehr gedient als durch das anerkennende Schulterklopfen (oder den Neid?!) der lodengrünen Kollegen im Umfeld trophäenbeladener Wohnstuben?
Die Jagd als Tat – für Topf und Trophäe
Ich bin Erlebnisjäger in erster Linie: Einzutauchen in die Natur, mich vertraut machen mit ihren Gebärden um aus diesem sich Einfinden heraus freudig, effektiv und erfolgreich zu jagen.
Dann bin ich ein Fleisch- und Lederjäger: Kein sinnigeres oder nützlicheres Unterfangen als aus der Freiheit der Landschaft heraus wildlebende Tiere zu entnehmen um mit ihnen, ihrem Fleisch, Leder, Geweih und Co. mein Dasein zu bereichern.
Und ich bin „Trophäenjäger“: Ich finde es klasse starke Hirsche zu jagen, mit wachsten Sinnen das Revier zu durchstreifen und jedes kleinste Anzeichen, jeden leisesten Hinweis zu hinterfragen – lernen „zu denken wie ein alter Hirsch“.
Und wenn er dann erlegt ist kann dieser Hirsch mit Geweih, Fleisch und Leder so ein vielseitiger und vielschichtiger Botschafter sein.
Er kann Trophäe an der Wand sein, Erinnerungsstück für erfüllendes Jagen – aber er kann auch viel mehr sein als nur das.
Burkhard Stöcker