Aktuelles
03.02.2022

Der Vegeta­rismus und der Veganismus und die Natür­liche Wirklichkeit!

Alter­native Lebens- und Ernäh­rungs­formen liegen im Trend. Darunter sind der Vegeta­rismus und der Veganismus inzwi­schen schon geradezu zu Massen­phä­no­menen geworden.

Die Motiva­tionen zur rein oder überwiegend pflanz­lichen Ernährung werden häufig aus den als unwürdig empfun­denen Haltungs­formen landwirt­schaft­licher Nutztiere gespeist. Dabei wird überwiegend die indus­triell betriebene landwirt­schaft­liche Massen­tier­haltung angeprangert.

Die neuzeit­liche Massen­tier­haltung ist in der Tat in fast all ihren Spiel­arten eine gesell­schaftlich tolerierte Barbarei – Vegeta­rismus und Veganismus demons­trieren u.a. auch gegen diese Praxis und sehen sich auch als gelebte Alter­native zum „Unkultur-Phänomen-Massen­tier­haltung“.

Es gibt jedoch ein paar Gesichts­punkte, die bei Vegeta­riern und Veganern im mittel­eu­ro­päi­schen Kontext ihres Denkens und Handelns kaum Berück­sich­tigung finden.

Vegeta­rismus und Veganismus sind keine „Natur“ 

Kaum ein Naturvolk auf dieser Erde verzichtet auf die Einbindung tieri­scher Kompo­nenten in ihre Ernährung und Lebens­weise. Wenn wir auch jene Lebens­weisen der Natur­völker als mehr oder minder vage Richt­schnur für ein „Zurück zur Natur“ betrachten wollen – gehört zu einer natür­lichen Lebens­weise immer und überall die Einbindung des vorhan­denen lokalen, regio­nalen tieri­schen Inventars in die Lebens­ge­staltung mit dazu. 

Eine rein vegeta­risch-vegane Lebens­weise ist daher prinzi­piell eher das künst­liche (durchaus verständ­liche!) Produkt einer Antihaltung gegenüber der barba­risch verwerf­lichen Vernutzung unserer tieri­schen Mitwelt. Sie ist die ebenso krasse Über-Reaktion auf die krasse Aktion völlig unzivi­li­sierter Tierhaltung. Eine rein vegeta­risch-vegane Lebens­weise lässt aber weitgehend außer Acht, dass sie mit „zurück zur Natur“, „natur­gemäß“, oder „naturnah“ nur wenig zu tun hat.

Grasland­öko­systeme, Ackerbau und vegeta­rische Ernährung

Nur ein sehr geringer Teil der landwirt­schaftlich nutzbaren Fläche der Erde ist nachhaltig als Ackerland geeignet – nur dort können für die mensch­liche Ernährung direkt verwertbare Pflanzen angebaut werden.

Der größte Teil der „landwirt­schaft­lichen“ Fläche der Erde sind Grasland­schafften in ihren verschie­densten Ausprä­gungen: Prärie, Savanne, Steppe, Tundra, Halbwüste usw.

Diese Grasland­schaften taugen schlichtweg nicht für die Umwandlung in Ackerland. Eine Nutzung dieser Ökosysteme als Ackerland würde fast überall zu einer mehr oder minder raschen Degra­dierung dieser Flächen führen – auf absehbare Zeit würden vielerorts Wüsten entstehen! 

Hirten­völker, Vegeta­rismus, Imperialismus?

In diesen großen Grasland­schaften ist eine mensch­liche Kultur nur über den Umweg der Landschafts­nutzung durch möglichst ökosys­te­man­ge­passte Weide­tiere möglich: die Samen und die Rentiere Skandi­na­viens, die Nenzen und die Caribous Sibiriens, die Steppen­völker Inner­a­siens, die Nomaden­völker Nordafrikas, die Hirten­völker Zentral- und Südafrikas. In all diesen Grasland­schaften können nachhaltig nur Menschen ökosys­te­man­ge­passt wirtschaften, wenn sie jene Großtiere nutzen, die in der Lage sind in diesen Landschaften pfleglich und nachhaltig zu leben. Eine rein vegeta­rische und vegane Lebens­weise in Form von Ackerbau wäre für die dortigen Landschaften und die dort lebenden Menschen nachhaltig gewiss nur eines: Tödlich!

Stellen wir jene tierische Nutzung über die Graslän­de­reien grund­sätzlich in Frage und postu­lierten wir auch für jene Regionen eine rein pflanz­liche Nutzung dieser Landschaften würden wir nicht nur das Überleben dieser Ökosysteme in Frage stellen… – sondern auch das Daseins­recht all jener Kulturen, die mit und von diesen Tieren und diesen Landschaften leben. 

Mit einem konse­quenten Vegeta­rismus und Veganismus, der seine Lebensform als „allein­se­lig­ma­chend für die Welten­rettung“ preist verur­teilen wir auch auf eine anmaßende Weise die nachhal­tigen Lebens­weisen zahlloser Grasland-Hirten­völker – weltweit. Vegeta­rismus und Veganismus wären in diesem Kontext geradezu neoko­lo­nia­lis­tische Bevormundung.

Wege jenseits der Extreme

Beide Ernäh­rungs­formen propa­gieren daher eine Lebens­weise, die weder der Natur des Menschen noch der nachhal­tigen Nutzung vieler natur­naher Landschaften entspricht. 

Nicht­de­sto­trotz liefern beide gewiss wichtige und gute Impulse für einen neuen und diffe­ren­zier­teren Umgang mit unserer natür­lichen Mitwelt – und jedem mag es selbst­ver­ständlich letztlich selbst überlassen bleiben wie er sich ernähren und wie er leben möchte.

Beide Lebens­formen sind aber keine wirklichen Alter­na­tiven zu einer natür­lichen Nutzung von Landschaft, Pflanze und Tier. Einer Nutzung die Ökosysteme in ihre Gesamtheit betrachtet und nach neuen, intel­li­genten Alter­na­tiven sucht – jenseits der tieri­schen Barbarei und jenseits von Vegeta­rismus und Veganismus.

Burkhard Stöcker

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