Gefährdet – Geschützt – Gehätschelt
Das Rebhuhn kurz vor dem Aussterben! Der Biber auf dem Vormarsch! Bald schaukelt der letzte Kiebitz durch die Lüfte! Der Wolf knackt die 1000er Marke, der Kranich die 10000er! Da kennt sich noch einer aus! Ja was denn nun? Geht’s jetzt bergauf oder bergab? Wie immer steckt natürlich, wenn auch dieses Mal nicht der Teufel, sondern nur die artspezifische Entwicklung im Detail.
Nehmen wir einmal den Kranich. Sein kometenhafter Aufstieg im Verlaufe der letzten zwei, drei Jahrzehnte ist eine erfreuliche Artenschutzentwicklung – hat mit „Naturschutz“ aber fast überhaupt nichts zu tun: Die Ernterückstände auf den immer zahlreicheren Maisfeldern führten zu einer soliden Herbstkondition sowohl der Alt- als auch der Jungvögel. Die praktisch in den letzten Jahren kaum noch vorhandenen Winter ersparen den Vögeln z.T. den anstrengenden Herbstzug und verringern die Wintersterblichkeit. Und die zunehmende Flexibilität in seiner Brutplatzwahl erschließt ihm neue Lebensräume: Der Zwang zum großen, unzugänglichen, menschenfeindlichen Sumpf ist für den großen Stelzvogel inzwischen Geschichte – „Straßengraben“ ist das neue (gewiss etwas überzeichnete…) Stichwort. Und trotzdem feiert der Naturschutz den Kranich beständig als Erfolgsgeschichte. Die einzigen, die wirklich für diese Erfolgsgeschichte verantwortlich gemacht werden könnten, wären die Landwirte, die auf den riesigen Maisschlägen unbeabsichtigt den positiven Bestandestrend des Kranichs fördern. Ich kann mich jedoch an keine Dankeskampagnen erinnern, in denen die Landwirtschaft für ihren „Kranich-Überwinterungs-Bestandesstützungs-Einsatz“ von NABU, BUND, WWF und Co. gebührend gefeiert wurde.
Der Kranich hat einen in Jägerkreisen sehr wohl bekannten „Säuger-Zwilling“: Das Wildschwein. Auch unsere Sauen profitieren vom Maisanbau, milden Wintern und der häufigen Mast der Laubbäume (Kraniche nehmen übrigens, wann immer möglich, ebenfalls gern und begierig Eicheln auf!). Hinzu kommt beim Schwarzwild noch die enorme Reproduktionsfähigkeit. Die Zunahme von Kranich und Wildschwein ist also prinzipiell den gleichen Gründen geschuldet – der Kranich ist also nichts weiter als das „Wildschwein der Lüfte“. Ein gefiederter und ein borstiger Kulturlandschaftsgewinner können sich da „Ständer und Lauf reichen“!
Der Naturschutz lässt sich für den positiven Bestandestrend beim Kranich (ungerechtfertigt?) ordentlich feiern, die Jägerschaft hingegen lässt sich für den positiven Bestandesstrend beim Schwarzwild (unberechtigt?) anständig schelten – „Ehre wem Ehre gebührt“, passt auch nicht immer. Kranich und Wildschwein sind aber nicht die einzigen Arten, denen es in unserer Kulturlandschaft zunehmend besser geht.
Der Bestand der heimischen Graugans stieg von ca. 6.000–8.000 Paaren Mitte der neunziger Jahre auf aktuell ca. 50.000 Paare an, der Brutbestand der Kanadagans von knapp 500 Mitte der neunziger Jahre auf inzwischen weit über 10.000 Paare, und der Bestand des „Neubürgers“ Nilgans geht seit Jahren durch die Decke und hat sich innerhalb von nur zwei Jahrzehnten von 250 auf über 10.000 Paare verzigfacht. Gänse fressen ganzjährig fast nichts weiter als einfaches Gras (und dazu zählt auch Getreide – „auf Kornertrag gezüchtetes Gras“!) und anderes Grünzeug und stellen an ihren Brutplatz keine besonderen Ansprüche.
Der Kormoran kam 1990 mit einem Brutbestand von nicht einmal 6.000 Brutpaaren in 22 Kolonien in Deutschland vor – inzwischen sind es ca. 26.000 Brutpaare in über 100 Kolonien. Der Kormoran profitiert in erster Linie von überdüngten Gewässern, in denen sich feiste Weißfische tummeln.
Und der Wanderfalke (früher vom Naturschutz durch Brutplatzbewachung ähnlich spektakulär geschützt wie die letzten „West-Kraniche“ vor der Wende) hat sich in den vergangenen Jahrzehnten prächtig entwickelt. Er ernährt sich vielseitig von Vögeln aller Art, häufig profitiert er von den Bemühungen eifriger Brieftaubenzüchter und den „fliegenden Ratten der Städte“.
Auch unter den Säugern gibt es zwei große „Naturschutz Flaggschiffe“, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten prächtig entwickelt haben: Der Bestand des Bibers ist inzwischen auf über 25.000 Exemplare bundesweit angewachsen, und Meister Bockert tummelt sich längst nicht nur an naturnahen Gewässern, sondern vielfach an Vorflutern und in schnöden Entwässerungsgräben. Der „Anpassungskünstler par excellence“ schließlich, der Wolf, frisst flexibel alles was ihm in den Fang kommt, von der Maus bis zum Maulesel, von der Graugans bis zum Wildschwein.
Bei all diesen Arten wird eine „Naturschutz-Entwicklung“ gefeiert, die fast nichts mit der Neuschaffung von Lebensräumen oder mit substantieller Biotopverbesserung zu tun hat – sondern eigentlich eher mit einer Verarmung hin zur „einseitigen Agrarsteppe“! Wir freuen uns über die Zunahme bestimmter Tierarten – aber die Landschaft verarmt weiter. Ja, manche Arten streuen uns vielleicht geradezu Sand in die Augen, so dass wir nahezu blind werden für das was seit Jahrzehnten mit unseren Landschaften passiert…
Gänse, Kormoran, Kranich, Biber – aber auch Reh, Damhirsch, Rothirsch, Wildschwein …
Aber nicht nur der Naturschutz hat seine „Hätschelkinder“ die Erfolge oft nur vortäuschen – auch die Jägerei hat sie: Die Schalenwildbestände in Deutschland haben in den letzten Jahre eine historisch einmalige Höhe erreicht. Und auch das liegt erstaunlich wenig an der „Hand des Hegers“. Wir haben so vitale Bestände unserer großen jagdbaren Pflanzenfresser, weil sie allesamt (wie die vorstehend genannten Vorzeigearten des Naturschutzes) recht flexible Arten sind, die mit unseren vom Mensch frisierten Landschaften gut klar kommen.
Natürlich sind sowohl die Ziehkinder des Naturschutzes als auch jene der Jägerei zuerst einmal erfreuliche Entwicklungen: Schön, dass es so vielen großen Tieren in unserer Kulturlandschaft ausgesprochen gut geht! Ein guter Teil unserer landschaftlichen Lebensqualität ist ganz gewiss eng mit der Präsenz von großen, Tierarten verbunden: Ich freue mich an großen Kranichscharen und kopfstarken Hirschrudeln!
Aber ein paar große präsente Kulturlandschaftsgewinner sind aus der Sicht von Biodiversität, Struktur- und Artenreichtum einer Landschaft leider längst nicht alles: Wir haben im Verlaufe des letzten halben Jahrhunderts über 80%(!) unserer Insektenmasse verloren, über 90%(!) unserer Kleingewässer. Vogelarten wie das Birkhuhn, die Bekassine, der Kiebitz, das Rebhuhn haben im letzten halben Jahrhundert z.t. über 90%(!) ihres Bestandes eingebüßt. Und diese Liste ließe sich beliebig verlängern… – Feldraine, Brachen, blumenreiche Wegränder, nährstoffarme Trockenbiotope, prägende Einzelbäume der Landschaft. Die reichgestaltete Kleinstrukturiertheit unseres „Lebensraumes Landschaft“ ist einer mehr oder minder großen Monotonie gewichen in der „von wenigen Arten viele“ statt „von vielen Arten wenige“ vorkommen. Darüber täuscht auch das Trompeten der zahlreichen Kraniche und das Geschnatter der noch zahlreicheren Gänse nur oberflächlich hinweg.
Und bei allen Arten, die „gut zu Recht kommen“, lassen früher oder später Konflikte und Probleme auch kaum auf sich warten: Gänse und Gras- (Land)Wirte, Kormoran und Fisch-Wirte, Biber und Wasser-Wirte, Wölfe und Vieh-Wirte, Wanderfalke und Tauben-Wirte, Wildschwein und Land-Wirte, restliches Schalenwild und Forst-Wirte. Über die Tiere die uns bei unserem Wirtschaften stören, wird oft viel heftiger diskutiert und gerungen als über das zahlreiche Heer jener, die unmerklich aus unserer Welt verschwinden. Wer kennt schon den Steppengrashühfer (Chortippus vagans) eine der seltensten Heuschrecken Mecklenburg-Vorpommerns.
Naturschutz mit Landnutzung – Landnutzung mit Naturschutz
Der Naturschutz muss bei der Betrachtung seiner Arbeit die Landnutzung viel mehr in den Focus nehmen – und die Landnutzung muss bei ihrer Arbeit den Naturschutz weitaus mehr berücksichtigen. Wenn die Landwirtschaft registriert, dass bspw. Feldlerche, Rebhuhn und Braunkehlchen in ihren Beständen katastrophal zusammenbrechen – muss sie nach intelligenteren Wirtschaftsweisen suchen. Und wenn der Naturschutz merkt, dass Kormoran, Biber und Wolf mit berechtigten Landnutzungsinteressen zunehmend kollidieren muss für diese (inzwischen ungefährdeten Arten) nach einem ausgleichenden, intelligenteren Management gesucht werden.
Ein Naturschutz, der sich auf Totalschutz fokussiert und eine Landnutzung, die auf Teufel komm raus wirtschaftet, sind nichts weiter als sektorale Fehl-Entwicklungen! Bei einer ganzheitlichen Betrachtung von Landschaften als Arbeits‑, Wirk- und Lebensraum darf es kleinräumig gewiss sowohl den Total-Schutz als auch die Total-Wirtschaft durchaus geben. Aber beide müssen die Ausnahme bleiben. Wir brauchen „in der Fläche“ integrierte Konzepte, die Wirtschaftlichkeit und Naturschutz intelligent miteinander verbinden. Hierzu gibt es viele erfolgversprechende Ansätze…und bei vielem stehen wir erst am Anfang…
Burkhard Stöcker