Jagen und Bergen – bergend Jagen – jagend Bergen…
In den weiten, sanften Hügeln der Uckermark
Weit über einen Kilometer Fußweg hatte ich hinter mir, Berg- und Tal in der uckermärkischen Hügellandschaft… – bevor ich nichts weiter als eine kleine Markierung in der Nähe einer uralten Buche fand. Hier war mein Stand. Auf dem Weg dorthin hatte ich alte Buchenwälder gesehen, die von Eichen, Ulmen und Eschen begleitet wurden, bürstendichte Verjüngungen hatte ich passiert, kusselige urige Kiefern, die am Rande von Mooren wuchsen und deren graumelierter Stammfuß den Malbaum verwies. Und dann hockte ich stundenlang in diesem weiten Waldes-Dom…und dann, mitten in dieser germanischen Urlandschaft, inmitten der von Seen und Mooren durchzogenen bewaldeten Hügel: Drei Überläufer, schon von weitem sicht- und hörbar durch das frisch gefallene herbstliche Laub – einer blieb auf der Strecke. Nun begann die Arbeit: Erst die „rote“ des Aufbrechens, ein scharfes Messer, ein paar Schnitte, schnell getan…
Doch dann: Der Weg zurück mit Beute, das weite, weite Laub vor mir war nun mein Weg, die nächste Kuppe mein Ziel und immer wieder Laub, Hang, Kuppe, Laub, Hang, Kuppe… – des Jägers Herz pochte nun lange schon nur noch vor Anstrengung, längst nicht mehr vor Aufregung. Und jeder Herzschlag näher an Hänger, Wildkammer, Zerwirkraum, Tiefkühltruhe, Küche, Tafel…
Mit jedem Schritt auch näher zu jenen die sich dankbar und freudig dann der Tafel nähern – so sehe ich von den Augen des Wildes in der Weite des Waldes in die Augen der Menschen in der Wärme der Wände…und so wechselten die Gedanken aus den bunten Wäldern in die heimischen Wände und zurück.
Überleben war Jagen – Jagen war Überleben
Doch mitten im Keuchen vor der nächsten Kuppe wanderten die Gedanken viel weiter zurück in ferne Tage der Uckermark, weit zurück zu des Ur-Jägers Tagen: Wenn zum Ausgang des Winters (vielleicht zuweilen schon in der Mitte…) die Vorräte aufgebraucht waren, der Frühling aber noch lange, lange auf sich warten lies. Irgendwo wartete hungernd die Sippe. Jene schon letzten Kräfte mussten mobilisiert werden um des lebensrettenden Wildes habhaft zu werden! Vielleicht gar risikoreiche Jagd auf Mammut oder Riesenhirsch – es konnte zuletzt immer noch misslingen, das Tier entkommen, wichtige Energien unnütz vergeudet, alles umsonst. Enttäuschung der Sippe, bittere Enttäuschung, vielleicht Hohn, Wut, Verzweiflung – vielleicht sogar das Ende.
Wenn aber die Beute doch erfolgreich erlegt war, war die Erschöpfung anstrengender Jagd rasch vergessen. Die Erleichterung über das nun wieder für Tage gesicherte Überleben ließ letzte Kräfte von neuem wachsen. Das Aufbrechen und Bergen der Beute war dann ein Tun in Gewissheit – sicheres Gelingen war hier nun die Triebfeder für das Bergen des Wilde bis zur Sippe. Sie würde leben, wir würden leben. Überleben.
Wieder zurück im Hier und Jetzt
Jeder meiner Schritte brachte meinen Überläufer nun nicht einer ausgezerrten Sippe…, sondern nur dem Hänger und dem Wildhändler näher. Natürlich, ich hätte hier jetzt auch die eigene Familie mit ins Spiel bringen können: Über Wildbret freuen sie sich immer. Nur: Welcher Intensiv-Schalenwildjäger heutiger Prägung mit 60–70 Stück Wild im Jahr ernährt damit ausschließlich die eigene Familie? Wie immer und überall in der arbeitsteiligen Gesellschaft gibt es nur selten den wirklich direkten Weg zum Essen und Trinken. Doch bei uns Jägern gibt es ihn oft, so oft wie wir es wollen – so oft wie wir jagen…zerwirken, zerteilen…zubereiten wollen!
Nach der Jagd…ist sie Hand-Werk!
Noch viel mehr beim Aufbrechen, beim Bergen, beim Zerwirken kann Jagd heute wirklich noch „Hand-Werk-Sein“. Die eigentliche Erlegung ist vielleicht gar viel mehr Finger-Werk, ja gar Zeigefinger-Werk. Viel mehr als ein bisschen Fingerfertigkeit und Auge-Hand Koordination bedarf es ja auch kaum beim schlichten Zeigefinger-krumm-machen im rechten Moment. Aber das eigenständige Bergen im schweren Gelände ist Kraft, Kondition, Schweiß, Anstrengung, Arbeit, Akt, Tun. Wie armselig ist es oft, wenn der Erleger dies nicht selbst an-packt (so er es noch kann!) sondern dies alles nun schon wieder im „Rundum-Sorglos-Paket“ heutigen Jagens inbegriffen ist. Das ganze Nach-dem-Finger-krumm-machen – kaum mehr Bestandteil von Jagd!? Und das ganze Vor-dem-Finger-krumm-machen ist es ja oft auch kaum mehr – all dies Schauen, Sinnen, Beobachten, Bestätigen, Erfühlen des Wildes – all dies wirkliche echte Jagen!
Burkhard Stöcker