Naturliebe – was ist das denn?
Wir alle lieben die Natur? Natürlich lieben wir alle die Natur!
Gewiss gibt es dazu auch schon seit Jahren repräsentative Umfragen: „Lieben Sie die Natur?“ Und ich bin mir ziemlich sicher (ohne mich in jene Umfragen vertieft zu haben…) dass nahezu 100% der Befragten natürlich mit „Ja“ antworten werden!
- Würde ich vielen schlicht glauben, dass sie die Natur „irgendwie lieben“
- Ist es heutzutage total trendy und politisch korrekt Natur zu lieben – wer würde sich schon trauen ein schlichtes „Nein zur Natur“ zu artikulieren?!
- Ist es aber auch eigentlich ganz einfach zu sagen man liebe die Natur – weil jeder darunter etwas anderes versteht. Wohl jeder von uns hat bei „Natur“ einen eher nebulös definierten Ausschnitt von selbiger im Sinn.
Was aber ist „Natur“? Schauen wir in ein bekanntes Online Lexikon zuerst einmal alles „was nicht vom Menschen geschaffen wurde“. Hier unterscheiden wir den biotischen Teil von Natur (alle Lebewesen) und den nichtbiotischen Teil von Natur (alle unbelebte Natur).
Jedem seinen eigenen „Naturliebe Tunnel“!
Schauen wir uns einmal ein paar „Naturfreunde-Segmente“ der Neuzeit ein bisschen näher an:
- Die Katzenfreunde haben die Natur in Form ihrer Katzen sehr lieb – und die Freiheit ihrer Katzen sind ihnen auch etliche Millionen dezimierte Kleinvögel und Kleinsäuger durchaus wert… – Naturliebe?
- Die Pferdefreunde haben ihre Pferde natürlich auch lieb – und verheizen sie zuweilen (unausgewachsen!) als zwei oder dreijährige auf Rennbahnen oder für andere ihrer menschlich-sportlichen Freuden... – Naturliebe?
- Auch die Hundebesitzer haben die Natur in Form ihrer Hunde sehr lieb – lassen aber allzu oft Grünanlagen, Wegebankette, Spielplätze und andere Gassiregionen ihre Liebe auch für andere „sicht- und riechbar fühlen“… – Naturliebe?
- Die Kletterfreunde haben Natur auch sehr lieb – und bespicken dieselbe daher gerne mit „Schmuckgegenständen“ aller Art“: Klettereisen, Kletterseile, Klettersteige… – Naturliebe?
- Die Jäger (moderner Lesart) basteln allerorten mehr oder minder schicke Hochsitze und nähern sich der Natur meist mit PS starken SUVs und Hochrasanzbüchsen… – Naturliebe?
- Die Menschen die die halbe Republik mit Windrädern so hoch wie Wolkenkratzer vollstellen haben die Natur auch ganz doll lieb, weil sie ja damit die klimaschädlichen Kohlekraftwerke abschalten helfen…Naturliebe?
Die Liste der „Natur-Liebenden“ ließe sich wohl beliebig verlängern…
Naturliebe für den Gemeinen Holzbock, die Zecke?
Und wer hat eigentlich die Zecke wirklich lieb? Schließlich gehört sie ja unzweifelhaft auch zur belebten Natur. Tja, die Zecke? Vermutlich sind es nur ein paar Zeckenforscher und „Sonderlinge“ die sich für jenes lästige Natur-Element wirklich erwärmen können. Aber: Stare und Bachstelzen freuen sich jedoch im Hirschfell über jeden der kleinen aufgepickten Blutsauger. Und die Existenz der schönen afrikanischen Madenhacker wäre ohne „Zecke an Zebra“ kaum denkbar. Oder Stechmücken und Bremsen? Ohne die ganzen Insekten kein Schwalbensommer – und kein „Tirili-tirila“ in der frühlingshaften Landschaft.
Natur ist allumfassend – Perspektive weiten!
Naturliebe liegt also offenbar stets im Auge des Betrachters und in dessen Perspektive – fast immer und überall scheint ein umfassender, ganzheitlicher Blick ein bisschen zu fehlen.
Jeder liebt einen anderen Teil der Natur und ein jeder hat seinen Tunnelblick auf sein Natursegment. Fast alle vergessen dabei den Blick auf das Ganze, auf die ganze Landschaft mit ihren Wäldern und Wiesen, Städten und Dörfern, Straßen und Plätzen. Und merkwürdig, dass häufig der Hundebesitzer die Reiter als Störenfriede empfindet, der Wanderer die Nordic Walker, die Nordic Walker die Mountainbiker, der Mountainbiker die Gleitschirmflieger, der Gleitschirmflieger natürlich die Windkraftanlagen – Der Landwirt den Naturschützer, der Jäger den Forstmann, der Wasserbauer den Ornithologen.
Bei der Betrachtung von Natur und Landschaft setzt sich aber ganz schlicht nur jene hochgradige Spezialisierung und Ausdifferenzierung fort, die unsere moderne Gesellschaft nun einmal auszeichnet – mit all den Schwierigkeiten eines damit verbundenen wechselseitigen Verständnisses…
Dazuschalten von Fremdperspektiven!
Ich merke es ja schließlich auch nicht zuletzt an mir selber: Ich fahre durch Landschaften und gleite von einem Tunnelblick zum nächsten, als Jäger, als Forstmann, als Ökologe, als Vogelfreak, als Fotograf…
Jeder von uns nimmt, je nach seinem persönlichen Hintergrund, bestimmte Ausschnitte wahr. Der Blick auf die „Verflechtung des Ganzen“ erfordert aber ganz viel gedankliche Arbeit und vor allem auch immer mal wieder den berühmten Perspektivenwechsel. Will ich Natur praktisch verstehen und bspw. die Entwicklung von Landschaften muss ich mich immer wieder in die Perspektiven der verschiedenen Akteure einfuchsen – ich muss lernen wie Landwirte, Forstwirte, Wasserbauer, Wanderer, Mountainbiker, Jäger, Vogelfreaks, Pilzsammler – zu fühlen und zu denken. Einfühlungsvermögen für das Denken des Anderen zu entwickeln ist eine der schwierigsten menschlichen Übungen – im Kleinen privat wie im Großen für die Landschaft!
„Schönes Wetter“ – und die Entfremdung von der Natur!
Ein schönes Beispiel für unseren Tunnelblick auf Natur waren für mich auch die vergangenen trockenen Sommer: wie war es anstrengend immer wieder aus zahlreichen Medien die unreflektierten Begeisterungsstürme zum „wunderschönen Bade- und Urlaubswetter“ zu hören – während auf den Feldern und in den Wäldern die Trockenheit wütete und Land- und Forstwirte tatenlos zusehen mussten. Aber medial präsent waren fast nur der blaue Himmel und der Sonnenschein – halt der perspektivisch begrenzte Tunnelblick auf die Natur! Es war ein Zeichen einer nahezu gänzlichen Naturentfremdung, jener extreme „Natur Tunnel Blick“! Das wir ein ausgewogenes Verhältnis von Regen und Sonnenschein brauchen um überhaupt Lebensmittel (Die „Mittel für unser Leben“!) produzieren zu können ist dem Lebensmittelkonsumenten der nur den Supermarkt kennt nicht mehr bewusst… – woher auch?
Der völlig unverstellte, der leere Blick auf Natur?
Bei der Erschließung von Natur hilft es vielleicht zuweilen auch „einfach einmal leer zu werden“ und Landschaft nicht durch jene Brille zu sehen von der wir alle stets „irgendeine auf“ haben.
Nicht mittels Ausrüstung und klarer Zielvorstellung, sondern einfach nur „nahezu unbesohlt“ und frei hinauszugehen und Natur zu atmen. Wer ist noch in der Lage Natur pur wahrzunehmen? Selbst der neuzeitlich trendige „Waldbader“ geht wahrlich nicht ziellos in den Wald. Jeder von uns macht sich Natur irgendwie und irgendwo immer „dienstbar“ – Naturliebe ist fast immer und überall zweckgebunden!
Goethes berühmte Gedichtzeile aus „Gefunden“ kommt einem da in den Sinn: „…Ich ging im Wald so für mich hin und nichts zu suchen das war mein Sinn…“. Das ist vielleicht gelegentlich auch genau das was man „suchen“ soll, wenn man in die Natur geht: „Nichts zu suchen“!
Zweckfrei hinauszugehen heißt wohl auch: den Blick auf und in die Natur ohne das den Blick zustellende Equipment und ohne klare Zielstellung… ohne Joggingschuhe, Walking Stöcke, Gewehr, Fotoapparat – ja sogar ohne „Waldbadegesinnung“!
Der alte Verhaltens-Forscher Konrad Lorenz hat einmal sehr schön gesagt: „Wenn ich auf die eine Seite der Waage das läge, was ich aus den Büchern gelernt und auf die andere Seite das, was ich in der Betrachtung der Natur erfahren – so würde letztere tief, tief hinabsinken“
Die unvoreingenommene kindliche Betrachtung des Lebendigen ist vielleicht auch einer der Schlüssel zu einem neuen, tieferen, umfassenderen Verständnis von Natur.
Burkhard Stöcker