Ökosystem-DienstLeistungen – Welchen Wert hat Natur?
Natur ist wertvoll – das ist gewiss unumstritten. Aber wie wertvoll ist Natur? Lassen sich einzelne Individuen, Arten, Biotope, ganze Landschaften auf Heller, Pfennig, Cent berechnen?
Einer der ersten, der einen derartigen „Öko-Ökonomie-Versuch“ vor nun fast vierzig Jahren unternommen hat war der große „Umwelt-Vor-Denker“ Frederic Vester. Er versuchte den Wert eines einzelnen Blaukehlchens zu berechnen.
Zuerst einmal bestimmte er den Wert des Vogelskelettes mit den darin enthaltenen Mineralien wie Phosphor, Kalzium, Flor. Dazu kamen dann noch der Wert von Fleisch, Blut, Federn. Sie Summe daraus sind nach heutiger Umrechnung 1,5 Cent. Soweit der reine Materialwert.
Dann kamen die Leistungen des Blaukehlchens an die Reihe: Seine Rolle als Schädlingsbekämpfer und Insektenvertilger, als Verbreiter von Pflanzensamen, als Freudenbringer fürs menschliche Gemüt, als Bio-Indikator für Umweltbelastungen und Symbiosepartner für andere Lebewesen. So kam Vester zu einer Summe die den reinen Materialwert weit, weit überstieg und sich letztlich auf eine jährliche Geldleistung von 154,09 Euro summierte. Für die Leistung „Ohrenschmaus und Augenweide eines Vogels durch Farben‑, Formen- und Gesangsvielfalt und durch die Eleganz des Fluges“ setzt Vester damals übrigens den Gegenwert einer Valiumtablette an, also 5 Cent pro Tag. Übrigens hat Vester später die gleiche Kalkulation noch einmal für eine hundertjährige Buche angestellt und kam auf eine Summe von 271000 Euro – der bloße Holzwert einer hundertjährigen Buche verblasste demgegenüber zu einem schieren Nichts.
Wenn wir heute über den „Wert“ von Natur sprechen, müssen wir zuerst einmal schauen was Natur wirtschaftlich de facto bringt: Der sogenannte „primäre Sektor“ (Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei etc.) erwirtschaftet nicht einmal 1% der Bruttowertschöpfung in unserem Land. Nach dieser schlichten Rechnung wäre Natur als ökonomischer Wert erst einmal schlicht nahezu irrelevant.
Natur bringt aber ohne Zweifel viel mehr Leistungen für die Gesellschaft als nur den Beitrag des „primären Sektors“. Dafür wurde inzwischen der recht sperrige Begriff der „Ökosystem-Dienstleistungen“ geprägt. Und diese Ökosystem-Dienstleistungen sind inzwischen partiell berechenbar bzw. nicht mehr vorhandenen Öko-Dienstleistungen ebenfalls!
Einige wenige markante Beispiele:
- Insekten bestäuben im geschätzten volkswirtschaftlichen Wert (Nutzpflanzen des Menschen) von jährlich 1,13 Milliarden Euro: 1130000000 Euro.
- Entwässerte Moore die landwirtschaftlich genutzt werden (Maisanbau, Intensiv-Grünland) setzen ungeheure Mengen an klimaschädlichem CO² frei. Eine intensive landwirtschaftliche Nutzung von Moorböden ist daher mit gesellschaftlichen Kosten von bis zu 5000 Euro/ha verbunden – der Betrag den die Gesellschaft zu tragen hat übersteigt damit deutlich den potentiellen individuellen betrieblichen Gewinn/ha. Veranschlagen wir einmal ca. 800000ha entwässerte genutzte Moore bundesweit kommen wir auf Kosten…- die eigentlich schon niemand mehr tragen kann.
- Die Umwandlung von Grünland in Ackerland verursacht gesellschaftliche Folgekosten in Höhe von bis zu 3000 Euro pro ha/Jahr. Grünland weist aufgrund der ganzjährigen Bodendeckung hohe Humusgehalte auf und hat eine deutlich höhere Wasserspeicherkapazität. Es schützt deutlich besser vor Austrocknung und Erosion durch Wasser und Wind. Entlang von Gewässern schützt es dieselben deutlich mehr vor Schadstoffeintrag und übernimmt wichtige Pufferfunktionen.
- In Trinkwassereinzugsgebieten kann eine umweltverträgliche Landnutzung die ökonomisch sinnigste Variante zur Bereitstellung von sauberem Trinkwasser sein. Die durch einen ostdeutschen Wasseranbieter finanzierte umweltverträgliche Landnutzung kostete den Wasserversorger ca. 1 Cent/m³ Wasser – eine technische Aufarbeitung des Wassers hätte bei 7 Cent/m³ Wasser gelegen. Die umweltverträgliche Landnutzung in den Wassereinzugsgebieten war für den Wasseranbieter daher letztlich die ökonomisch sinnigste Lösung.
Die Schwierigkeiten bei der Berechnung von Ökosystemdienstleistungen liegen natürlich auch in deren „Langatmigkeit“ in Relation zu dem meist kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Nutzwerten der Bewirtschafter.
Ökosystemleistungen sind zumeist öffentliche Güter und negative Wirkungen ergeben sich meist erst in einer langfristigen Perspektive. Vitale und leistungsfähige Ökosysteme kommen meist der Gesellschaft und/oder vielen Menschen gleichzeitig zu Gute. Ein schönes Beispiel dafür sind Strukturelemente auf landwirtschaftlichen Nutzflächen: Sie wirken positiv auf das Landschaftsbild und erhöhen die touristische Attraktivität. Sie schützen vor Bodenerosion, sind Lebensraum zahlreicher Nützlinge und eines vielfältigen Artenspektrums. Manche positive Wirkung zahlt sich allerdings erst langfristig aus bspw. der Schutz vor der ja eher schleichenden Wind- oder Wassererosion. Die Kosten der Maßnahme für den Landwirtschaftsbetrieb fallen jedoch zeitnah an. Andererseits ist auch klar: Eine überzogene Beanspruchung der Natur durch intensive Landnutzung kann kurzfristig individuelle Gewinne schaffen – langfristig jedoch vielen Menschen schaden bzw. hohe gesellschaftliche Kosten verursachen.
Es fällt hier meist schwer die langfristigen Folgen und deren häufig immensen Kosten für die Gesellschaft klar vor Augen zu haben – die wirtschaftlichen Gewinne und monetären Vorteile des Einzelnen liegen ja dem gegenüber meist deutlich auf der Hand. Und wer klare positive Zahlen vorweisen kann ist oft im Vorteil – vor allem gegenüber demjenigen, der in ferner nebulöser Zukunft enorme negative Zahlen voraussagt!
Da es aber heute immer besser gelingt auch langfristige Folgen nachvollziehbar zu bewerten und klar in Heller, Pfennig und Cent zu benennen, bekommt auch diese langfristige, zukunftsweisende und gesellschaftlich relevante Perspektive immer mehr Gewicht. Unser Handeln hier und jetzt hat häufig langfristige Auswirkungen. Diese zu erkennen und klar zu benennen ist Aufgabe einer vorausschauenden sauberen Analyse. Wir werden voraussichtlich immer mehr erkennen welch große Bedeutung intakte Ökosysteme für unser gesamtes – vor allem auch volkswirtschaftliches Handeln hat.
Kommen wir zum Schluss daher noch einmal auf die „Blaukehlchen-Rechnung“ von Frederic Vester zurück. Und auf seine beeindruckende Relation zwischen dem reinem „Materialwert des Blaukehlchens“ (1,5 Cent!) und dem „Leistungswert des Blaukehlchens“ (156,09 Euro!) – dem mehr als 10000fachen seines reinen Materialwertes!
Setzen wir nun einmal in Analogie zur Blaukehlchen-Rechnung vereinfacht als reinen „Materialwert der Natur“ einfach die Bruttowertschöpfung des primären Sektors an: 1% der jährlichen Wirtschaftsleistung.
Wenn wir nun davon ausgehen, dass auch hier der „Leistungswert der Natur“ das mehr als 10000fache des „Materialwertes der Natur“ beträgt – kämen wir auf eine „Natur-Leistung“ die in einem Jahr etwa dem hundertfachen (!) der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung unseres Landes entspräche: Mehr als 300 Billionen Euro = 300000000000000 Euro!
Ein gewiss gewagter und durchaus wackeliger Vergleich, der aber nur eines deutlich zeigen soll: Den unglaublichen ökonomischen Wert von Natur!
Burkhard Stöcker