Aktuelles
Foto: Burkhard Stöcker
22.04.2021

Offener Brief an das Minis­terium für Landwirt­schaft und Umwelt

Sehr geehrter Herr Minister,
lieber Herr Dr. Backhaus,

mit dem Änderungs­gesetz zum Landes­forst­an­stalts­er­rich­tungs­gesetz soll ein Wildwir­kungs­mo­ni­toring (nachfolgend WWM) in Mecklenburg-Vorpommern einge­führt werden. 

Grund­sätzlich begrüßen wir derartige Projekte sehr. Nach dem Grund­la­gen­gut­achten für dieses WWM sind wir im Hinblick auf dessen Zielsetzung aller­dings skeptisch, ob mit diesem Modul wirklich mehr Wissen über das Verhältnis von Wald und Wild geschaffen wird, das nicht ohnehin bei den Waldei­gen­tümern vorhanden ist.

1. Zielsetzung und tatsäch­liche Erhebung

Das WWM soll nach der Grundidee eine umfas­sende Beschreibung des Wirkungs­ge­flechts zwischen Wild und Wald liefern und kein Schadens­gut­achten. Zugleich erschöpft sich das WWM jedoch in der Erhebung von Verbiss‑, Schäl- und Fegeschäden. Auf Basis dieses WWM kann nur über Schäden gesprochen werden, nicht über deren Hinter­gründe. Es beinhaltet eben keine umfas­sende Darstellung der Gesamtheit von Wald und Wild. Um derartige Erkennt­nisse zu liefern müssten die Erhebungen Aufschluss über folgende Parameter liefern:

  • Besitzform
  • Bejagungs­me­thode
  • Strecken­ent­wicklung
  • Bestands­schätzung
  • Arten­schätzung
  • Äsungs­ver­hält­nisse
  • Störungs­ver­hält­nisse
  • Besondere schadens­för­dernde Einflüsse, z.B. Witterungsverlauf
  • Präda­to­ren­vor­kommen
  • Belegenheit der Waldfläche
  • Größe der Waldfläche
  • Unter­wuchs
  • Nähe zur Bebauung
  • Benach­barte Schalenwildvorkommen
  • Raum-Nutzungs-Verhalten des Schalenwildes

Ohne ein derart diver­si­fi­ziertes Lebens­raum­profil bleibt das WWM, was es nach der aktuellen Gestaltung ist, eine reine Schadenserhebung.

2. Adres­saten

Das WWM erscheint in seiner aktuellen pauschalen Ausrichtung auf alle Besitz­formen als eine teure und wenig hilfreiche Form der landes­weiten Schadens­er­hebung. Dabei benötigen die Besitzer der ganz überwie­genden Waldfläche in Mecklenburg-Vorpommern derartige Hilfe­leis­tungen nicht.

Ungefähr 60% des Waldes in MV steht im Eigentum des Landes, des Bundes und der Kommunen. Diese Eigen­tümer verfügen über hohe Expertise, selbst Schäden und Schadens­ur­sachen festzu­stellen. Jeder Revier­leiter dieser Eigen­tümer hat schon aus der allge­meinen Waldda­ten­er­hebung und aus der laufenden Inaugen­schein­nahme des Reviers profunde Kennt­nisse über das Wildwir­kungs­profil vor Ort. Dort besteht auch hinrei­chende Expertise über die Möglich­keiten der jagdlichen und hegeri­schen Schadensreduzierung. 

Gleiches gilt für den Privat­wald­besitz im Umfang von mehr als 75 ha. Diesen Waldbe­sitzern ist bereits im Rahmen der verbind­lichen Forst­ein­richtung bekannt, welchen Einfluss der Wildbe­stand auf die Entwicklung des eigenen Waldes hat. Diese Waldbe­sitzer sind auch in der Lage, jederzeit jagdliche und hegerische Maßnahmen zu ergreifen, um ihr Betriebsziel zu reali­sieren. Diese Waldbe­sitzer verfügen über ca. 50% des gesamten Privatwaldbesitzes.

Auf 80% der Waldflächen besteht folglich schon jetzt die fachliche und recht­liche Möglichkeit, Schäden nicht nur zu erkennen, sondern auch auf entspre­chende Minde­rungen hinzuwirken.

Das WWM kann sich deshalb mit inhalt­licher Berech­tigung ausschließlich an Klein­pri­vat­wald­be­sitzer wenden. Tatsächlich verfügen ca. 38.000 Eigen­tümer in MV über Waldflächen von jeweils bis zu 2 ha. Diese Eigen­tümer nutzen ganz überwiegend ihren Wald als Brenn­holz­vorrat oder haben aufgrund der jewei­ligen Zusam­men­setzung (Erbengemeinschaft/Bruchteilsgemeinschaft) überhaupt kein Interesse an einer beson­deren Nutzung. Die damit verbun­denen Pflege­rück­stände führen dazu, dass der Holzvorrat im Kleinst­pri­vatwald regel­mäßig größer ist als in anderen Besitz­formen. Gleichwohl sind noch nicht einmal 10% der Kleinst­wald­be­sitzer Mitglieder einer FBG, um die Wertholz­nutzung zu optimieren.   Aus dieser Inter­es­senlage erklärt sich auch der Umstand, dass Kleinst­pri­vat­wald­be­sitzer bei der Anmeldung von Wildschäden nicht in Erscheinung treten.

Seitens dieser Besitzer ist deshalb auch kein Interesse an beson­deren Schadens­er­he­bungen zu regis­trieren, gerade aufgrund der unbedeu­tenden wirtschaft­lichen Kapazität. Bei einem Nutzungs­vo­lumen von ca. 6 efm/ha/p.a. und möglichen Erlösen in Höhe von ca. 50 EUR/efm sind ca. 600 EUR an Jahres­er­trägen denkbar, von denen ca. 60% an Werbungs­kosten abzuziehen sind. Etwaige Forst­wild­schäden sind in diesen Betriebs­größen eine völlig zu vernach­läs­si­gende Größe, die umfang­reiche Schadens­er­he­bungen nicht als hilfreich, sondern als Luxus erscheinen lassen.

3. Duldungs­ver­pflichtung

In der Gesamt­schau soll das WWM somit Schadens­daten erheben, die auf einer Waldfläche im Umfang von ca. 80% der Gesamt­be­sto­ckung dem Eigen­tümer selbst bekannt sind und auch von ihm selbst fachlich bei Gegen­maß­nahmen gewürdigt werden können. Auf dieser Basis eine Duldungs­ver­pflichtung aller Waldei­gen­tümer gegenüber der Daten­er­hebung zu begründen, dürfte schwerfallen. 

4. Relevanz vergleich­barer Verfahren und Alternativen

Dass die angestrebte Schadens­er­hebung wenig Effekt auf schadens­min­dernde Wildbe­stands­re­du­zie­rungen hat, zeigt sich bei einem verglei­chenden Blick auf die Gutach­ten­praxis im Freistaat Bayern. Dort betrug, unmit­telbar nach Einführung der Verbiss­gut­achten, 1987/88 die Jahres­reh­wild­strecke ca. 245.000 Stück und steigerte sich nachhaltig auf aktuell ca. 325.000 Stück. Die Rotwild­strecke steigerte sich im gleichen Zeitraum von ca. 10.000 auf ca. 14.000 Stück. Dabei handelt es sich um nachhaltige Effekte, so dass von einer Bestands­re­du­zierung nicht die Rede sein kann. Dagegen bleibt die Kritik an den Beurtei­lungs­grund­lagen derar­tiger Gutachten und beim einge­schränkten Blick auf die Lebens­raum­pa­ra­meter bestehen.

Anstatt deshalb mit einem gleicher­maßen teuren wie erkennt­nis­armen WWM zu operieren, erscheint es als vorzugs­würdig, auf freiwil­liger Basis ein Berichts­mo­ni­toring zu entwi­ckeln, das auch für Trans­parenz innerhalb des ländlichen Raumes sorgt, zum Beispiel über inter­aktive Karten bei gleich­zei­tiger ganzheit­licher Bewertung von Lebensraumparametern.

Um es insofern deutlich zu machen: Die Stiftung Wald und Wild in MV ist nicht prinzi­piell gegen Formate zur Unter­su­chung von Wald-Wild-Wirkungen. Sie benötigen zu ihrer Recht­fer­tigung indessen greifbare Mehrwerte über eine reine Schadens­auf­nahme hinaus, auch im Interesse einer möglichst großen Wirkungsbreite.

Wir bitten Sie, die Zielsetzung des WWM dazu nachzubessern.

Mit freund­lichen Grüßen,Für den Vorstand

Dr. Florian Asche

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