Offener Brief an das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt
Sehr geehrter Herr Minister,
lieber Herr Dr. Backhaus,
mit dem Änderungsgesetz zum Landesforstanstaltserrichtungsgesetz soll ein Wildwirkungsmonitoring (nachfolgend WWM) in Mecklenburg-Vorpommern eingeführt werden.
Grundsätzlich begrüßen wir derartige Projekte sehr. Nach dem Grundlagengutachten für dieses WWM sind wir im Hinblick auf dessen Zielsetzung allerdings skeptisch, ob mit diesem Modul wirklich mehr Wissen über das Verhältnis von Wald und Wild geschaffen wird, das nicht ohnehin bei den Waldeigentümern vorhanden ist.
1. Zielsetzung und tatsächliche Erhebung
Das WWM soll nach der Grundidee eine umfassende Beschreibung des Wirkungsgeflechts zwischen Wild und Wald liefern und kein Schadensgutachten. Zugleich erschöpft sich das WWM jedoch in der Erhebung von Verbiss‑, Schäl- und Fegeschäden. Auf Basis dieses WWM kann nur über Schäden gesprochen werden, nicht über deren Hintergründe. Es beinhaltet eben keine umfassende Darstellung der Gesamtheit von Wald und Wild. Um derartige Erkenntnisse zu liefern müssten die Erhebungen Aufschluss über folgende Parameter liefern:
- Besitzform
- Bejagungsmethode
- Streckenentwicklung
- Bestandsschätzung
- Artenschätzung
- Äsungsverhältnisse
- Störungsverhältnisse
- Besondere schadensfördernde Einflüsse, z.B. Witterungsverlauf
- Prädatorenvorkommen
- Belegenheit der Waldfläche
- Größe der Waldfläche
- Unterwuchs
- Nähe zur Bebauung
- Benachbarte Schalenwildvorkommen
- Raum-Nutzungs-Verhalten des Schalenwildes
Ohne ein derart diversifiziertes Lebensraumprofil bleibt das WWM, was es nach der aktuellen Gestaltung ist, eine reine Schadenserhebung.
2. Adressaten
Das WWM erscheint in seiner aktuellen pauschalen Ausrichtung auf alle Besitzformen als eine teure und wenig hilfreiche Form der landesweiten Schadenserhebung. Dabei benötigen die Besitzer der ganz überwiegenden Waldfläche in Mecklenburg-Vorpommern derartige Hilfeleistungen nicht.
Ungefähr 60% des Waldes in MV steht im Eigentum des Landes, des Bundes und der Kommunen. Diese Eigentümer verfügen über hohe Expertise, selbst Schäden und Schadensursachen festzustellen. Jeder Revierleiter dieser Eigentümer hat schon aus der allgemeinen Walddatenerhebung und aus der laufenden Inaugenscheinnahme des Reviers profunde Kenntnisse über das Wildwirkungsprofil vor Ort. Dort besteht auch hinreichende Expertise über die Möglichkeiten der jagdlichen und hegerischen Schadensreduzierung.
Gleiches gilt für den Privatwaldbesitz im Umfang von mehr als 75 ha. Diesen Waldbesitzern ist bereits im Rahmen der verbindlichen Forsteinrichtung bekannt, welchen Einfluss der Wildbestand auf die Entwicklung des eigenen Waldes hat. Diese Waldbesitzer sind auch in der Lage, jederzeit jagdliche und hegerische Maßnahmen zu ergreifen, um ihr Betriebsziel zu realisieren. Diese Waldbesitzer verfügen über ca. 50% des gesamten Privatwaldbesitzes.
Auf 80% der Waldflächen besteht folglich schon jetzt die fachliche und rechtliche Möglichkeit, Schäden nicht nur zu erkennen, sondern auch auf entsprechende Minderungen hinzuwirken.
Das WWM kann sich deshalb mit inhaltlicher Berechtigung ausschließlich an Kleinprivatwaldbesitzer wenden. Tatsächlich verfügen ca. 38.000 Eigentümer in MV über Waldflächen von jeweils bis zu 2 ha. Diese Eigentümer nutzen ganz überwiegend ihren Wald als Brennholzvorrat oder haben aufgrund der jeweiligen Zusammensetzung (Erbengemeinschaft/Bruchteilsgemeinschaft) überhaupt kein Interesse an einer besonderen Nutzung. Die damit verbundenen Pflegerückstände führen dazu, dass der Holzvorrat im Kleinstprivatwald regelmäßig größer ist als in anderen Besitzformen. Gleichwohl sind noch nicht einmal 10% der Kleinstwaldbesitzer Mitglieder einer FBG, um die Wertholznutzung zu optimieren. Aus dieser Interessenlage erklärt sich auch der Umstand, dass Kleinstprivatwaldbesitzer bei der Anmeldung von Wildschäden nicht in Erscheinung treten.
Seitens dieser Besitzer ist deshalb auch kein Interesse an besonderen Schadenserhebungen zu registrieren, gerade aufgrund der unbedeutenden wirtschaftlichen Kapazität. Bei einem Nutzungsvolumen von ca. 6 efm/ha/p.a. und möglichen Erlösen in Höhe von ca. 50 EUR/efm sind ca. 600 EUR an Jahreserträgen denkbar, von denen ca. 60% an Werbungskosten abzuziehen sind. Etwaige Forstwildschäden sind in diesen Betriebsgrößen eine völlig zu vernachlässigende Größe, die umfangreiche Schadenserhebungen nicht als hilfreich, sondern als Luxus erscheinen lassen.
3. Duldungsverpflichtung
In der Gesamtschau soll das WWM somit Schadensdaten erheben, die auf einer Waldfläche im Umfang von ca. 80% der Gesamtbestockung dem Eigentümer selbst bekannt sind und auch von ihm selbst fachlich bei Gegenmaßnahmen gewürdigt werden können. Auf dieser Basis eine Duldungsverpflichtung aller Waldeigentümer gegenüber der Datenerhebung zu begründen, dürfte schwerfallen.
4. Relevanz vergleichbarer Verfahren und Alternativen
Dass die angestrebte Schadenserhebung wenig Effekt auf schadensmindernde Wildbestandsreduzierungen hat, zeigt sich bei einem vergleichenden Blick auf die Gutachtenpraxis im Freistaat Bayern. Dort betrug, unmittelbar nach Einführung der Verbissgutachten, 1987/88 die Jahresrehwildstrecke ca. 245.000 Stück und steigerte sich nachhaltig auf aktuell ca. 325.000 Stück. Die Rotwildstrecke steigerte sich im gleichen Zeitraum von ca. 10.000 auf ca. 14.000 Stück. Dabei handelt es sich um nachhaltige Effekte, so dass von einer Bestandsreduzierung nicht die Rede sein kann. Dagegen bleibt die Kritik an den Beurteilungsgrundlagen derartiger Gutachten und beim eingeschränkten Blick auf die Lebensraumparameter bestehen.
Anstatt deshalb mit einem gleichermaßen teuren wie erkenntnisarmen WWM zu operieren, erscheint es als vorzugswürdig, auf freiwilliger Basis ein Berichtsmonitoring zu entwickeln, das auch für Transparenz innerhalb des ländlichen Raumes sorgt, zum Beispiel über interaktive Karten bei gleichzeitiger ganzheitlicher Bewertung von Lebensraumparametern.
Um es insofern deutlich zu machen: Die Stiftung Wald und Wild in MV ist nicht prinzipiell gegen Formate zur Untersuchung von Wald-Wild-Wirkungen. Sie benötigen zu ihrer Rechtfertigung indessen greifbare Mehrwerte über eine reine Schadensaufnahme hinaus, auch im Interesse einer möglichst großen Wirkungsbreite.
Wir bitten Sie, die Zielsetzung des WWM dazu nachzubessern.
Mit freundlichen Grüßen,Für den Vorstand
Dr. Florian Asche