Aktuelles
08.12.2020

„Urbane Utopie“ und „Ländliche Logik“

Mit der Energie­wende, der flächigen Etablierung der Windenergie und der Solar­felder erleben wir derzeit die größte Verän­derung der Landschaft Europas seit über tausend Jahren: Nur die große Rodungs­pe­riode des Mittel­alters gestaltete unsere Landschaft ähnlich gewaltig und ähnlich gewalt­tätig um. Damals wurde der Wald auf nahezu 30% zurück­ge­drängt (in etwa seine heutige Ausdehnung) und seit dieser Zeit existiert unsere mehr oder minder heute vorhandene Wald/Feld Verteilung. Wir erleben mit der flächigen Etablierung der erneu­er­baren Energien den größten Indus­tria­li­sie­rungs­prozess – seit der Industrialisierung.

Die klassische Indus­tria­li­sierung der vergan­genen 200 Jahre war jedoch eine weitest­gehend städtische: Fabriken und Gewer­be­ge­biete wuchsen in Städten, am Rande von Städten oder auch einmal am Rande von Dörfern und ländlichen Gemeinden. Aber sie waren fast stets Bestand­teile mensch­lichen Siedlungsraumes.

Die flächige Indus­tria­li­sierung der Jetztzeit

Der jetzige Indus­tria­li­sie­rung­prozess der Energie­wende wandert nun völlig in die Fläche – er entkoppelt die indus­trielle Entwicklung nahezu von der mensch­lichen Wohn- und Lebenswelt des städti­schen Raumes.

Und dieser flächige Indus­tria­li­sie­rung­prozess, der nun auch die bislang entle­gensten Winkel unseres Landes rotierend erreicht – und das ist das wirklich bizarre – segelt unter dem Terminus von „Öko“, von „Umwelt­schutz“, von „sauberer Energie“. Die in der Geschichte Mittel­eu­ropas bislang größte, je wahrnehmbare flächige Indus­tria­li­sierung ist eine „Im Namen von Mutter Natur“. Im Namen von „Mutter Natur“ verwandelt wir die Reste von „Mutter Natur“ in eine Industrielandschaft!

Und diese Umwandlung ist wieder einmal eine im Namen von „Energie“. Die Opfer, die wir in der Vergan­genheit für unsere Energie­ver­sorgung aufge­bracht haben, waren nahezu immer grenzenlos und absolut: für Holz haben wir in histo­ri­scher Zeit Mittel­europa entwaldet, für Öl nahmen wir die Verschmutzung ganzer Förder­re­gionen und Teile der Weltmeere in Kauf, für die Braun­kohle „verbag­gerten“ wir ganze „Heimat-Landschaften“, für die Atomenergie opferten wir die Entvöl­kerung und Konta­mi­nation ganzer Landstriche. Und für „die Neuen“ nehmen wir jetzt nahezu unser ganzes, auch das „ländliche Land“, in den Schwitz­kasten indus­tri­eller Verbauung.

Die Zeche der neuen Indus­tria­li­sierung zahlt… – die ländliche Region!

Und jene Windener­gie­parks und Solar­felder werden nicht flächig in den Tiergarten in Berlin gebaut oder in den Park von Sanssouci in Potsdam, den Volkspark in Hamburg oder den engli­schen Garten in München, nein nach Vorpommern oder in die Altmark oder nach Ostfriesland, oder in den Hunsrück.

…und nicht der urbane Utopier

Entschei­dungen für den ländlichen Raum werden in den Städten gefällt: Der Windenergie-Wende­be­für­worter gehört der aufge­klärten Öko-Gemeinde heutiger Zeit an. Er rührt im Latte Macchiato in seinem Lieblingscafé in der Altstadt, blättert mal im „Manufactum Katalog“ oder auch mal in der „Landlust“. Gab es in der Landlust je schon einmal ein Windrad oder ein Solarfeld? All das ist aber inzwi­schen immer mehr raumgrei­fender „Landfrust“. Davon nimmt jedoch der moderne „Urban-Öko“ kaum etwas wahr oder er nimmt es schlicht in Kauf für jenes überge­ordnete Ziel der „allge­meinen Welten­rettung“. Und wenn er dann am Wochenende raus aufs Land fährt finden sich glück­li­cher­weise immer noch ein paar idyllische windener­gie­freie Rest-Dörfchen, in denen kein Rad einer Windener­gie­anlage die Lektüre der Landlust „überschattet“.

Corona beflügelt eine neue Landlust

Im Moment entdeckt, stark beflügelt von der Corona Krise, der Städter wieder eine neue Liebe zu jenem Land. Vielleicht liegt auch darin nun eine Chance für den vielbe­schwo­renen dringend nötigen Stadt-Land, Land-Stadt Diskurs. 

Vielleicht merkt dann der Urbanier das auf dem Land eine reale Logik existiert, die aus seiner urbanen Utopie entstanden ist und die weit, sehr weit entfernt ist von dem was die „Landlust“ so zu erzählen im Stande ist. Und wenn Corona dann eines Tages vorbei ist, werden auch die Landeier wieder hinein in die Städte fahren und in gemein­samen Gesprächen mit dem Urbanier den Latte Macchiato genießen – und nach neuen gemein­samen Wegen für Stadt und Land suchen, mit oder ohne Landlust…

Burkhard Stöcker

Weitere Beiträge

07.10.2024

Hochwas­ser­ka­ta­strophen und Überschwem­mungen nehmen in Deutschland immer weiter zu. Die Folgen des Klima­wandels haben wir besonders im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu spüren bekommen. Ein Problem auf dass wir uns in Zukunft drauf einstellen müssen …

weiterlesen

20.08.2024

Im Rahmen der diesjäh­rigen Jungwild­rettung begleitet die Stiftung Wald und Wild eine Master-Thesis zur Unter­su­chung des Setzver­haltens und der räumlichen Nutzung von Reh- und Damwild. Im folgenden Beitrag werden Infor­ma­tionen zu den aufge­nom­menen Daten und den ersten Erkennt­nissen dargestellt.

weiterlesen

03.07.2024

Anlässlich der Jahres­haupt­ver­sammlung von der Forst­be­triebs­ge­mein­schaft (FBG) Herzogtum Lauenburg und der Forst­be­triebs­ge­mein­schaft Mecklen­burger Seenplatte/ Schaalsee, gab es die jährliche Exkursion diesmal zum Thema Wald und Wild bei der Stiftung Wald und Wild.

weiterlesen

20.06.2024

Praktikant Tom Giesler berichtet über seine Einblicke und vielfäl­tigen Tätig­keiten im Rahmen seines Praxis­se­mesters bei der Stiftung.

weiterlesen

Erfahren Sie, warum wir diese sieben Arten in den Fokus gerückt haben.

weiter

Seit 1998 wurden schon über 50 Projekte realisiert. Auf dieser Seite finden Sie eine Auswahl.

weiter

Leben und Wirken des Gründers der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern

weiter