Wälder – Wohin?
Der Wald stirbt? „Schon wieder“ werden jene mit den Augen rollen, die vor gut drei Jahrzehnten auch schon das damalige Waldsterben medial und plastisch miterlebten. Damals wars der „Saure Regen“, heute ist es der „Klimawandel“. Es gab damals ohne Zweifel den sauren Regen und durchaus auch Waldschäden und es gibt auch heute wieder ohne Zweifel einen Klimawandel und auch die Waldschäden.
Und der Wald stirbt davon heute genauso wenig wie vor drei Jahrzehnten – er verändert sich – wie so manche Wälder auch vor drei Jahrzehnten.
Was man im derzeitigen medialen Rummel aber geflissentlich vermisst ist der „hausgemachte Beitrag“ zum Waldsterben 2.0 – und damit meine ich nicht den menschengemachten Klimawandel…
Waldboden – die Wachstumsgrundlage
Die Grundlage jeden Wachstums auf diesem Planeten ist der Boden. Und dieser Boden muss in der Lage sein Nährstoffe und Wasser zu speichern um diese dann an die Pflanzen abzugeben. Ein vitaler, wasseraufnahmefähiger Boden ist die Basis für jegliches Wachstum, ob er nun Wald trägt, Grünland oder Acker. Böden sind von Natur aus zumeist „feinst porige Agglomerate“ die, genau wie ein Schwamm, in ihren winzigen Poren und Zwischenräumen enorme Mengen Wasser speichern können.
Forstmaschinen schwer wie Panzer
Inzwischen seit Jahrzehnten nutzt die konventionelle Forstwirtschaft für die Holzernte sogenannte „Vollerntemaschinen“, auch Harvester genannt. Diese Forstmaschinen wiegen im Extremfall bis zu 60t. Mit ihnen wird entweder von Rückegassen aus gearbeitet, zuweilen fährt man jedoch auch kreuz und quer durch die Wälder. Durch das Befahren mit den schweren Maschinen und durch die enormen Bodenerschütterungen (arbeitende Harvester in Wäldern wirken ähnlich wie eine Rüttelmaschine zur Bodenverdichtung!) sind zahlreiche Böden inzwischen „kompaktiert und zusammengestaucht“. Derartig verdichtete Böden können bis zu 90% ihrer Wasserauffnahmekapazität verlieren. Und diese Maschinen-Arbeit mit den Harvestern ist inzwischen seit vielen Jahren fast überall forstliches Standardverfahren!
Bodendegration durch Entwässerung
Unser gesamtes ursprünglich einmal moorreiches Bundes-Land ist von Entwässerungsgräben und Drainagen durchzogen. Es wäre einmal interessant zu erfahren wie viele unsere heimischen Waldstandorte noch über ihr ursprüngliches Wasserregime verfügen. Ich befürchte, dass der weit überwiegende Teil der Waldflächen in MV inzwischen einen gestörten Wasserhaushalt hat. Wenn ich daran denke mit welchen Gefühlen ich im Verlaufe der letzten drei Trocken-Jahre das Wasser nach den wenigen Regenfällen per Entwässerungsgraben vielerorts „aus den Wäldern rauschen“ sah?
Wir müssen überall in unserem Land unsere Entwässerungssysteme überdenken, überprüfen und ggf. an die neuen Verhältnisse anpassen. Das kann mancherorts heißen: Rückbau der Entwässerungssysteme, andernorts: intelligente Rückhaltsysteme für Wasser schaffen.
Ackerbaumethoden in der Forstwirtschaft
Leider werden immer noch (glücklicherweise in immer seltenerer Form) in manchen Wäldern naturferne „forstliche-Ackerbaumethoden“ praktiziert: Kahlschlag, Beräumung der Fläche (z.T. mit Raupenfahrzeugen), Ackerähnlicher Umbruch der Flächen, Neupflanzung mit z.T. ungeeigneten oder standortfremden Baumarten.
Auch mit dieser Bewirtschaftungsform werden die Vitalität vieler Böden, die nachhaltige Wuchskraft der Waldstandorte und die Widerstandskraft der Wälder massiv beeinträchtigt.
Aufforstungen nivellieren kleinräumiges Standortmosaik
Aufforstungen berücksichtigen in den seltensten Fällen das oftmals extrem kleinräumliche Standortmosaik in Wäldern. In Naturverjüngungen in denen manches Mal mehrere zehntausend Pflanzen auf dem ha wachsen setzen sich kleinräumig die am besten angepassten jungen Bäume durch. Naturverjüngungen sind fast immer standortgerechter und vitaler als künstlich begründete Forstbaumkulturen.
„Protzenbeseitigung“ – die vitalsten Bäume wurden entnommen
Die forstliche Baum-Selektion im Rahmen der „ordnungsgemäßen Bewirtschaftung“ zielte jahrzehntelang auf eine nahezu „industrielle Gleichschaltung der Baum-Individuen“: Die vorwüchsigsten, vitalsten, dominantesten Exemplare, „Protzen“ genannt, wurden häufig frühzeitig herausgeschlagen. Sie entsprachen nicht der Norm. So wurden mancherorts über viele Jahrzehnte häufig die auf jenem Standort am besten angepassten Bäume vorzeitig entnommen.
Kaum noch ein natürliches Waldkleid
Auf kaum einem Standort findet sich daher heute noch das natürlich vorhandene, an den Standort gut angepasste Waldkleid – vielerorts prägen standortfremde, mancherorts völlig exotische Baumarten das Waldbild.
Nur Baumarten und Wälder die an den Standort optimal angepasst sind können jedoch auch Witterungsschwankungen und Witterungsextremen erfolgreich trotzen.
Nichtstun ist oft der bessere Förster
Aus vielfältigen Forschungen zur „Störungs-Ökologie“ in Wäldern wissen wir inzwischen: Wälder in Europa regenerieren sich nach wie auch immer gearteten Katastrophen (Sturm, Trockenheit, Käfer) wieder zügig und vital von selbst!
Und zwar regenerieren sie sich häufig am erfolgreichsten wenn man nicht hektisch anfängt den ganzen „devastierten“ Wald aufwendig technisch zu beseitigen – „Aufzuräumen“. Besonders zwischen dem abgestorbenen und zusammengebrochenen Wirrwarr alter Bäume und Stämme entwickelt sich ein neuer vielfältiger Wald. Die vermutlich seit Jahrzehnten am meisten unterschätzte forstliche Tugend ist das schlichte, einfache Nichtstun! Ein sinniger forstlicher Berater wäre wohl schon vor vielen Jahren Oskar Wilde gewesen: “Nichtstun ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige welche am meisten Geist voraussetzt“.
Wald wächst in Mitteleuropa – von alleine!
Überall würden von Natur aus Bäume wachsen – zumindest Birken, Pappeln oder andere Pionierbaumarten würden „ruckzuck“ wieder einen Wald entstehen lassen. Und dieser Naturwald würde wohl zukünftigen Klimaextremen gewiss besser standhalten als die von der Forstpartie nun geforderten großflächigen Neuaufforstungen.
Nur würde dieser „Spontane Naturwald“ häufig nicht den Nutzholzanforderungen genügen die sich Waldbesitzer und Forstwirtschaft nun zügig wünschen.
Und wenn auf den jetzt neu zu bewaldenden Standorten auf absehbare Zeit allein durch Naturverjüngung keine „forstlich relevanten Baumarten“ mit im Spiel sind, kann auch durchaus mit Pflanzung oder Saat einmal ein bisschen nachgeholfen werden.
Aber bitte nicht mit konsequent flächiger Pflanzung, die den natürlichen Wiederbewaldungs-Prozess praktisch ausschließt!
Naturverjüngung? Geht fast immer!
Wenn aber im Umfeld der zusammengebrochenen Wälder vitale wirtschaftlich relevante Baumarten wie Buchen, Eichen, Ulmen, Eschen, Ahorne, Tannen usw. vorhanden sind – ist in den meisten Fällen eine aufwendige künstliche Aufforstung und Pflanzung schlichtweg entbehrlich. Und wenn dort dann auch einmal wieder ein paar Fichten in der Naturverjüngung der anderen Baumarten mit anfliegen, sei‘s drum: Wächst die Fichte einzeln und ungleichartig im Mischbestand mit anderen Baumarten sind diese Exemplare deutlich resistenter gegenüber Trockenheit und Borkenkäfer. Die Fichten, die im monotonen Einheitsforst „ständig stramm stehen“ mussten, sind nun einmal deutlich gefährdeter!
Das „Eiserne Gesetz des Örtlichen“
Wie immer gilt auch bei der Aufgabe des großflächigen Umbaus der Wälder das sogenannte „eiserne Gesetz des Örtlichen“: Was an einem Ort gut und sinnig ist (oder dort gut klappt) muss andernorts nicht zwangsläufig auch funktionieren. Je nach Standort und Umfeld müssen allerorts kreative Lösungen gesucht und gefunden werden. Dabei sollten wir aber – deutlich mehr als in früheren Jahren – darauf schauen was der Wald uns „vor Ort sagen und zeigen will“!
Nach den extremen Witterungsereiginissen der letzten Jahre sind zahlreiche Wälder und Baumarten betroffen. Es zeigt sich aber: Wälder die aus ihren natürlichen Baumarten bestehen, naturnah bewirtschaftet wurden oder auf Standorten stocken die nicht künstlich verändert wurden – kommen mit der jetzigen Wald-Krise deutlich besser zurecht!
Das mitteleuropäische Baumartenspektrum bietet auch für die heutige Situation und für die ungewisse Zukunft für alle Standorte und Witterungsextreme passende Lösungen an.
Wir müssen unser Heil jetzt keinesfalls wieder in mediterranen oder überseeischen oder gar in tropischen Baumarten suchen, das wäre einmal wieder ein „neuer Holzweg“.
Naturnahe heutige Wälder und die Reste natürlicher Wälder in Mitteleuropa sollten uns den Weg in eine neue forstliche Zukunft weisen!
Burkhard Stöcker