Aktuelles
22.05.2020

Wege im Revier – weniger ist immer mehr

Wo liegen die heimlichsten Winkel im Revier – wo die lauschigsten Plätze? Eines ist dabei gewiss: stets abseits und jenseits von Weg und Steg.

Foto: Heinz Hummel
Je besser ausgebaut und leicht begehbar die Wege im Revier sind, desto häufiger werden sie auch von Erholungs­su­chenden, wie hier z. B. von Wanderern, frequentiert.
Foto: Burkhard Stöcker
Rothirsch im Bast mit einem Waldweg im Hintergrund

Kaum eine Ecke in der zivili­sierten Welt, die nicht in irgend­einer Art erschlossen wäre. Überallhin führen Wege und Straßen und nur dort, wo die Natur sich mit ihren simplen Mitteln gegen die Überer­schließung wehrt – in den letzten Sümpfen und in den letzten allzu schroffen Bergre­gionen – finden wir die rarsten Güter unserer Zeit: Stille und Abgeschie­denheit – auch für unser Wild.

Dabei gelten weite Teile unserer heimi­schen Wälder inzwi­schen als überer­schlossen: die Anzahl der laufenden Meter Waldwege liegt mancherorts weit über jenem Maß, das Forst­öko­nomen für notwendig erachten. Auch hier leben wir also im Überfluss und sollten uns daher selbst­be­wusst fragen: wäre nicht dann auch oft „ein Weniger“ hier eher „ein Mehr“?

Querfeldein läuft selten der Wanderverein

Wenn die pfeifend und schwatzend daher­kom­mende Wander­gruppe gerade den Lebens­hirsch vergrault, dessen Blatt schon vielver­spre­chend auf dem Zielstachel aufsaß – fällt die besonnene Reaktion verständ­li­cher­weise schwer.

Das Zauberwort gegen Lebens­hirsch vermas­selnde Waldwan­derer ist aber nicht die prophy­lak­tische Drohge­bärde oder der böse Blick (was sollte der auch bringen, „Wander­recht geht vor Jagdrecht“) – es heißt ganz schlicht: „mangelnde Infrastruktur“!

Foto: Burkhard Stöcker
Der nicht vorhandene oder der extrem schlecht gepflegte Weg sind im Zweifel das bessere „Wildru­he­zo­nen­schild“.

Je unweg­samer der Weg und je unwäg­barer der Grund, desto seltener wandelt dort der zivili­sa­ti­ons­ver­wöhnte Mensch – und desto seltsamer dann zuweilen der Mensch, der dann dort doch auftaucht (wir Jäger inklusive...).

„Homo touristicus vulgaris“ ist ein „Faultier“ und lässt sich hervor­ragend kanali­sieren: der optimale „Kirrungsweg“ für „Otto-Normal-Wanderer“ ist der gepflegte, befes­tigte, gemähte – der Rest wird zumeist gemieden.

Bei unbefes­tigten Wegen fallen schon mal 50% der Nutzer aus. Sind die Wege zusätzlich ungemäht, im Grunde die weiteren 40%. Das A und O der Ruhe im Revier ist (neben der wohlge­planten Jagdruhe) schlichtweg die mangelnde Infra­struktur. Den komplett verbrom­beerten Weg fährt auch der hartge­sot­tenste Mountain­biker nicht mehr und die völlig vergraste Schneise ist ungeeignet für den sonntäg­lichen Spaziergang.

Foto: Burkhard Stöcker
Manchmal jedoch trägt der freund­liche Hinweis auf dem Schild durchaus optimale Früchte: liegendes Wild auf dem Weg hinter dem Wildruhezonenschild!

Jeder zurück­ge­baute oder nicht mehr nutzbare Weg ist jagdlich zuerst einmal ein Gewinn, weil er Wildle­bens­räume nachhaltig beruhigt. Mancher gering­fügig längere Bergeweg von erlegtem Wild, sollte dafür gerne in Kauf genommen werden. Die Unter­haltung eines Weges allein aus Gründen der Wildbergung dürfte eigentlich kaum ein ausrei­chendes Argument sein. 

Pflege­inter­valle – sollten sich dehnen lassen

Es wird nur gepflegt:

a) wenn eine dauer­hafte, ständige Nutzung erfor­derlich ist oder b) wenn eine anste­hende Nutzung direkt bevorsteht. 

Wenn bspw. ein Bestand frisch durch­forstet und der Weg nur zur Errei­chung dieses Bestandes genutzt wurde und die nächsten Jahre (mögli­cher­weise Jahrzehnte) nicht mehr benötigt wird – zuwachsen lassen!

Die Inter­valle, in denen forst­liche Eingriffe statt­finden können/müssen/sollen, liegen manchmal etliche Jahre ausein­ander. Hier lohnt sich eine saubere Planung die voraus­schauend auch die Notwen­digkeit der Wegepflege oder aber auch das Vernach­läs­sigen derselben berücksichtigt. 

Zeitpunkt der Pflege

Je mehr ich „Gras (und weiteres) darüber wachsen lasse“, desto unattrak­tiver wird zwangs­läufig der Weg. Bin ich gezwungen für eine jährliche Wegeun­ter­haltung zu sorgen, sollte der Pflege­schnitt möglichst spät im Jahr erfolgen, um vor allem während der Vegeta­ti­onszeit (...und möglichst bis weit in den Herbst) einen möglichst „lotter­haften“ Eindruck zu hinter­lassen. Zudem heißt späte Mahd, dass zahlreiche Pflan­zen­arten der Wegränder zum Fruchten und Samen kommen. Und: wenn sie einen Weg mal nicht oder sehr spät mähen, freuen sich nicht nur Käfer und Falter – die unter dem Fahrzeug vorbei­strei­chenden Kräuter und Gräser sorgen konti­nu­ierlich für eine Unterbodensäuberung.

Schmutz und kleine Steine am Fahrzeug­boden werden durch diese feine „Öko-Erosion“ regel­mäßig entfernt. Ein Freund (Förster in einem Revier in dem Wege nur maßvoll gemäht wurden) hatte unter seinem Uralt-Passat den saubersten und rostfreisten Unter­boden, den ich jemals bei einem Altfahrzeug gesehen habe.

Foto: Burkhard Stöcker
Wird der Weg nicht gebraucht – zuwuchern lassen!

Lasse ich einen unbefes­tigten Weg mehrere Jahre hinter­ein­ander ohne Pflege und Mahd, können sich natürlich auch Baumkeim­linge oder Sträucher entwi­ckeln und die Funkti­ons­fä­higkeit des Weges leidet. Meistens ist dies aber auch nur ein Zeichen dafür, dass der Weg tatsächlich nicht mehr genutzt – und daher auch nicht mehr gebraucht wird! Dann lassen wir dort weiterhin der Natur ihren Lauf.

Wollen wir aber die Verbu­schung des Weges verhindern, sollten wir im Schnitt alle drei Jahre einmal mähen. Bei der Leistungs­fä­higkeit der heutigen Schnitt­ma­schinen ist jedoch auch der schon leicht (durch ein- bis dreijährige Gehölze) zugebuschte Weg kaum mehr ein Problem.

Foto: mlz
Wildschweine können beim „Rückbau“ von nicht mehr genutzten Wegen sehr hilfreich sein und kosten dabei nur ein paar Hände Mais.

Rückbau­hilfen – durch Sauen und Mais

Unbefes­tigte Wege sind übrigens auch ausge­sprochen beliebtes „Sauen-brech-terrain“ – und auf diesem Rohboden keimen dann bevorzugt bestimmte Baumarten wie Kiefer oder Birke. Will ich einen inzwi­schen überflüs­sigen Weg rasch umwandeln, hilft es auch dort ein wenig Mais breit­flächig zu verstreuen. Beim Aufnehmen der Maiskörner gelingt den Sauen – auch unabsichtlich – eine gewisse Aufrauhung des Unter­grundes und damit ein günstiges Keimbett für manchen Baumsämling.

Pirschwege

Der uralte Grundsatz, dass der Pirschpfad vom normalen Weg aus gar nicht zu sehen sein soll wird leider nur allzu oft vernach­lässigt: wenn direkt vom Wanderweg ein sauber gefegter Pfad abzweigt, ist dies eine „Einladung“ an den Waldwan­derer. Je nach Gelände und Deckung sollten mindestens die ersten 10m des Pirsch­pfades ungepflegt bleiben oder vom Wanderweg aus schlichtweg unsichtbar sein. An den Beginn des Pirschsteiges lege ich gerne ein paar tote, reich verzweigt Äste, die diesen Bereich schon weitgehend unkenntlich werden lassen. Am Anfang des Pirschsteiges ist eh die Notwen­digkeit des „Leise­tretens“ meist nicht gar so dringend wie im Endstück.

Foto: Burkhard Stöcker
Verdient der „Pirschweg“ eher den Namen „Pirsch­straße“, so ist dieser eine „Einladung“ für alle Waldwanderer

„Vorüber­ge­hende Stilllegung“

Ist es nicht möglich ein echtes „Einfallstor“ ins Revier wirklich endgültig lahmzu­legen, kann auch eine kurzfristige „Un-weg-barma­chung“ Abhilfe leisten: Astma­terial von der letzten Durch­forstung bleibt mal locker auf dem Weg liegen, wird auf einem lockeren Haufen aufge­schichtet, die ersten Meter des Weges werden gegrubbert oder umgebrochen oder es werden im Eingangs­be­reich gar ein paar Sträucher gepflanzt – wenn der Weg auf mehrere Jahre hinaus nicht mehr durch Fahrzeuge genutzt werden muss.

Unkennt­lich­ma­chung des Wegeeinstiegs

Eine wirklich ganz schlichte, einfache Maßnahme die problemlos zu verwirk­lichen ist und gewiss auch von den meisten Grund­ei­gen­tümern mitge­tragen wird, ist die „Verlot­terung des Wegeein­stiegs“: hier wird einfach nicht mehr gemäht, herein­ra­gende Äste der Randbäume werden nicht entfernt usw. Und dies einfach nur auf den ersten 10–20 Metern – der weitere Verlauf des Weges wird so gepflegt, wie es die weitere zukünftige Nutzung erfor­derlich macht.

Schüt­zen­hilfe vom Naturschutz

Bei den Kollegen vom amtlichen oder ehren­amt­lichen Natur­schutz werden wir mit dem „Wege-rückbau-Anliegen“ gewiss auch häufig mit Unter­stützung rechnen können. Vor allem wenn wir im Einzugs­be­reich jener Wege Brutplätze von seltenen Vogel­arten oder auch Wuchs­plätze seltener Pflan­zen­arten geltend machen können. Dann ist der Natur­schutz meist auch an einer Beruhigung jener Bereiche inter­es­siert und unter­stützt dann auch einen möglichen Wegerückbau

Wegerückbau – nur mit Landnutzern und Grundstückeigentümern!

Wir sollten unser Revier im Hinblick auf einen möglichen Wege-Rückbau einmal genau unter die Lupe nehmen und schauen, wo was wirklich entbehrlich ist. Und dann müssen (bevor wir in operative Hektik ausbrechen!) selbst­ver­ständlich unsere Ideen und Vorstel­lungen gekonnt und geschickt den Grund­stücks­ei­gen­tümern, poten­zi­ellen Wegenutzern und Wegeun­ter­haltern vorgelegt werden. Öffentlich gewidmete Wege werden in vielen Fällen für unser Anliegen schlicht tabu sein. Aber wenn der Weg wirklich nicht mehr notwendig ist und die Wegeun­ter­haltung entfällt, werden natürlich auch die Unter­hal­tungs­kosten gespart – auch dies könnte ein Anreiz für Grundbesitzer/Wegeunterhalter sein, unserem Rückbau­an­liegen zuzustimmen.

Schwie­riges Terrain ...

Wege aufzu­lassen oder gar zurück­zu­bauen ist gewiss ein ausge­sprochen heikles Thema und schwierig in die Tat umzusetzen. Der Effekt, den wir damit für Wild und Revier erzielen können, ist jedoch so groß, dass es lohnt hier einen langen Atem zu haben und ein wenig Energie zu investieren.

Burkhard Stöcker

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