Wege und Bankette – bedrohte Saumstrukturen!
Die illegale Nutzung von Saumstrukturen jeglicher Art ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein rücksichtsloses Handeln gegenüber der arg geschundenen Restnatur – auf jedem Quadratmeter braucht sie heute unsere engagierte Hilfe!
Ich erinnere mich noch gut an viele Bilder aus meiner münsterländischen Jugend: unzählige Sandwege durchschnitten das Land, jeder gesäumt von Meeren aus Vogelwicke, Rainfarn, Margerite und Beifuß. Auf den Sandwegen führten die Rebhuhnmütter ihre Jungen spazieren und immer wieder verschwanden alt und jung im dichten Dschungel der Wegraine – sie boten Schutz und Nahrung. Der Falterflug entlang der Sandwege war Legende und im Spätsommer konnte man kaum einen Meter zurücklegen, ohne von einem Schmetterling eskortiert zu werden.
In die zahlreichen Böschungen der alten Sandwege legten die Kaninchen ihre Baue – die Kräuter und Gräser der Wegraine ernährten ihre Jungen. Und unsere kindlichen Streifzüge entlang der Wege begleitete im Sommer der Wachtelschlag, der Gesang von Lerche und Nachtigall, von Kiebitz und Brachvogel.
Sandwege sind seltene Erscheinungen geworden. Sie sind dem Teer gewichen, der die großen Landmaschinen heute vom Hof zum Acker bringt. Doch die Wegraine und Feldränder müßten eigentlich noch da sein, müßten – doch auch sie sind zu einem großen Teil verschwunden.
Dass es sich dabei keinesfalls um ein spezifisches Problem meiner münsterländischen Heimat handelt, läßt sich überall in unserem Lande nachprüfen – überall sind Weg- und Feldraine inzwischen Mangelware geworden.
Leider haben diesen unübersehbaren, seit Jahrzehnten anhaltenden Schwund, bisher kaum Gemeinden oder Kreise einmal nachgeprüft, belegt oder gar ausgemessen. Mit wenigen Ausnahmen: Vor fast zwei Jahrzehnten wurde in einer norddeutschen Gemeinde ein Projekt zur Erfassung der Wegraine und Wegränder gestartet. Auf einer Gesamtfläche von 6.500 ha wurden fast 130 Wegstrecken erfasst, zum Teil gar vermessen.
Erstaunliches kam zu Tage: 100.000 qm an Wegrändern und Wegrainen wurden durch die Landwirtschaft illegal mitgenutzt. Dies waren auf die Fläche der gesamten Gemeinde hochgerechnet nur 0,14 % – aber 10 ha = 13 Fußballfelder oder auch: 10 ha Rebhuhnbrache, 10 ha Hasenkinderstuben, 10 ha blühende Schmetterlingswiesen!
Wenn wir nun davon ausgehen, daß dies kein bundesweiter Ausnahmefall ist, sondern wohl eher die Regel darstellt, können wir einmal eine grobe Hochrechnung auf die Republikfläche wagen. Wir lassen dabei logischerweise Forstflächen, Verkehr und Infrastrukturflächen außen vor und setzen einmal die Hälfte der Fläche unseres Landes als landwirtschaftliche Nutzfläche an (exakt sind es 54,1 %), ca. 175.000 qkm. Rechen wir davon 0,14 % sind dies 24.500 ha oder 245 qkm!
24.500 ha Rückzugsgebiete für Tiere und Pflanzen, 24.500 ha Biotopverbund in ausgeräumter Agrarlandschaft.
Das klingt als Fläche, bundesweit betrachtet, erst einmal gar nicht so bedeutend – 40.000 ha verschwinden alleine jedes Jahr für Straßen, Gewerbe und Wohnungsbau!
Richtig interessant wird es aber, wenn wir uns diese Fläche wirklich als einen Meter breiten Streifen vorstellen, der sich kreuz und quer durch unser Land zieht! Dann ist dies nämlich ein „ökologischer Lindwurm“ von 245.000 Kilometer Länge – sechsmal um den Erdball!
Und auf diese 245.000 km biologische Ausgleichsfläche müssen jedes Jahr Rebhuhn und Hase, Wachtel und Feldlerche verzichten – ganz zu schweigen von den Heerscharen von Insekten und Kleingetier.
Wenn wir uns dieses Phänomen klarmachen und diesem Umstand die an sich schon lebensarmen, großflächigen Ackersteppen und die fehlenden Hecken und Kleingewässer der „Postflurbereinigungslandschaften“ noch an die Seite stellen – wundert sich wohl kaum jemand mehr über so etwas wie eine „Niederwildmisere“!
Und möglicherweise ist dies noch nicht einmal das Ende der Fahnenstange. Was wird wohl entlang von Hecken, Waldrändern, Gewässern unter den Pflug genommen ohne dass dies überhaupt auffällt? Wer, bitte schön, registriert denn in der Landschaft diese kleinen schleichenden Veränderungen?
Entlang der Wege ist es oft auffällig, wenn direkt bis an die Fahrkante gepflügt wird. Aber entlang der Hecke, am Waldrand oder gar am Gewässer merkt es doch erst recht niemand, wenn mal hier oder dort ein weiterer Meter abgezwackt wird!
Dieser Umstand, die mögliche illegale Nutzung von 245.000 km ökologischem Ausgleichsstreifen bundesweit, ist ein betrüblicher, ja im Grunde ein untragbarer Zustand.
Vielen Jägern fallen diese Phänome sicherlich häufig ins Auge, aber es passiert nichts – die Landwirte sind nämlich ja auch Jagdgenossen und man möchte natürlich das Revier auch in ein paar Jahren nochmal pachten und geht derartigen möglichen Konfrontationen gerne aus dem Weg.
Bevor jedoch jetzt jeder Landwirt argwöhnisch beäugt wird, muß erst einmal die Situation vor Ort exakt erfasst werden: Nicht bei jedem nur schwach besäumten Weg, der direkt an einen Acker angrenzt, handelt es sich um eine illegale Nutzung. Wichtige Hinweise geben im Gelände vor allem alte Grenzsteine – liegen dieselben mitten im Acker, stimmt meistens etwas nicht.
Am sinnvollsten ist natürlich ein Blick ins gemeindliche Katasterverzeichnis und ein Abgleich der dortigen Zahlen mit den Wegebreiten in der Realität. Sehr hilfreich sind in diesem Zusammenhang auch alte Luftbilder, die häufig sowohl die ursprünglichen Weg- und Feldraine als auch früher vorhandene Wege zeigen. Sie liefern oft interessante Anhaltspunkte für frühere oder auch aktuelle schleichende Veränderungen.
Gibt es nun im Revier deutliche Hinweise auf eine illegale Nutzung von Saumstrukturen ist zusammen mit einem Kollegen vor Ort oder zusammen mit dem örtlichen Bürgermeister der Kontakt mit den Landwirten zu suchen. Es gibt schöne Beispiele, bei denen ein engagiertes, beherztes Gespräch zu einem Umdenken und schließlich auch zu einem Umhandeln der Beteiligten geführt hat.
An der norddeutschen Naturschutzakademie nahm der damalige Leiter Prof. Vauk sich vor etlichen Jahren dieses Themas an. Mit Hilfe eines engagierten Ortsvorstehers gab es einen Erfolg in einer kleinen Gemeinde der Lüneburger Heide: Landwirte ließen ihre Flächen links und rechts eines asphaltierten Feldweges wieder ungenutzt liegen. Im folgenden Jahr wurden alte Obstbaumsorten gepflanzt und eine Hecke angelegt.
Jetzt profitieren nicht nur Hase und Rebhuhn, sonder auch obsthungrige Mäuler (Herr von Ribbeck läßt schön grüßen!) von den inzwischen herangewachsenen Bäumen.
Man kann aus der Sicht eines Jagdpächters Verständnis dafür aufbringen, dass er nur selten Landwirte direkt auf Mißstände in seinem Revier aufmerksam macht. Wie obiges Beispiel jedoch gezeigt hat, kann ein offenes Gespräch aller Beteiligten, möglicherweise unter Moderation engagierter, starker Persönlichkeiten, zu positiven Ergebnissen führen.
Wer das Verschwinden von Feld- und Wegrainen im Revier hingegen still duldet, „versündigt“ sich nicht nur an der Natur des eigenen Revieres, sondern verzichtet auch schlicht auf einen nachhaltigen Jagdertrag an Niederwild! Rechnen sie ruhig mal einen Hasen oder ein Rebhuhn pro 100 m langem und 1 m breitem Wegrand!
Zeigt sich aber bei den entsprechenden Landwirten keine Bereitschaft zur Einsicht, sollte die zuständige Naturschutzbehörde auf die Umstände aufmerksam gemacht werden.
Viele Quadratmeter im Revier verschwinden ganz langsam und unmerklich. Manchmal werden Jahr für Jahr immer nur ein paar Zentimeterchen vom Wegrand mit umgebrochen – der Pflug arbeitet sich unmerklich zum Weg‑, Wald‑, oder Gewässerrand vor!
Ein interessantes Phänomen ist auch das völlige Verschwinden mancher nur mäßig befestigter Wege. Die Zusammenlegung kleiner Flächen zu großen Bewirtschaftungseinheiten läßt manchen Sandweg überflüssig erscheinen und innerhalb von Minuten ist er unter einem großen, modernen Vielscharpflug verschwunden und unauffällig in die Bewirtschaftungsfläche eingebunden.
Selbst wenn der Sandweg auch kaum Wegrand gehabt haben sollte – außerhalb der eigentlichen Fahrspuren bleibt immer ein bißchen Raum für Gräser und Kräuter. Jeder Quadratmeter ist wichtig!
Wir Jäger sind ständig wachen Blickes im Revier unterwegs. Dabei sollten wir auch ständig auf den Verlust selbst kleinster Saumstrukturen achten. An erster Stelle stehen dann das wohlwollende Gespräch und der Versuch durch Argumente Einsicht zu vermitteln. Kommen wir damit nicht weiter, müssen wir uns Schützenhilfe bei den zuständigen Behörden holen.
Die illegale Nutzung von Saumstrukturen jeglicher Art ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein rücksichtsloses Handeln gegenüber der arg geschundenen Restnatur – auf jedem Quadratmeter braucht sie heute unsere engagierte Hilfe!
Burkhard Stöcker